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Ayacucho: Armut, Beispiel Jiron La Mar Nr. 425

Wäsche waschen auf dem Dach, Pamela und Shirley 01  WC des Nachbarn ohne Vorhang mit Wellblechdach

Fotoreportage von Michael Palomino (März 2007 / 2012)

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Jiron La Mar, Strassenbild mit Mototaxi vergrössernJiron La Mar, Strassenbild mit Mototaxi

Die Häuser sind ein- bis zweistöckig. Die Fahrbahn weist starke Schäden auf, und das Trottoir ebenfalls. Rechts existiert gar kein Trottoir.

In vielen Familien ist ein Mototaxi das einzige Gehalt.

Man muss wissen, wie der Städtebau in Süd-"Amerika" funktioniert, oder eben nicht funktioniert: Zuerst ist da eine Hütte, dann sind da ein paar Hütten und ein wilder Fussweg. Dann werden Häuschen aus Stein gebaut, die nur aus einem Erdgeschoss bestehen. Dann wird aus dem wilden Fussweg ein Feldweg. Der Staat oder die Regierung organisiert nichts. In den nächsten 10 Jahren kann es sein, dass man Strom, Wasser und Telefon bekommt. Oft leben die Leute in den Aussenquartieren Ayacuchos aber ohne Telefon, auch ohne Zementboden mit direktem Kontakt zur Erde. Dann wird ein Bad mit WC gebaut. Wenn eine neue Häuserreihe entstanden ist, müssen sich die Bewohner Gedanken machen, ob man eine Strasse anlegen soll. Wenn man Pech hat, so muss alles selber bezahlt werden. So gibt es in Ayacucho ganze Quartiere ohne eine einzige asphaltierte Strasse, wo auch Buslinien verkehren. Wenn es regnet, tragen die Busse den Dreck der nassen Feldwege in die ansonsten einigermassen saubere Innenstadt...

Süd-"Amerika" funktioniert also genau umgekehrt wie Europa: In Europa wird zuerst ein Plan aufgelegt, ein Gebiet mit Strassen erschlossen und dann die Häuser gebaut und vermietet. In Süd-"Amerika" werden zuerst Hütten gebaut, dann Häuser und zuletzt die Strasse. Wenn man kein Glück hat, müssen die Hausbesitzer den Bau der Strasse selbst bezahlen...

Jiron La Mar 425, alte Hausfassade,
                        fehlende Fensterscheiben vergrössernJiron La Mar 425, alte Hausfassade, fehlende Fensterscheiben

Die Farbe, um eine Fassade neu zu streichen, kostet. Wenn die Familie kaum Einkommen hat, so hat das Aussehen der Fassade letzte Priorität. Es fehlen auch Fensterscheiben der Terrassentüre. Der Bub der Familie hat die Scheiben mit dem Fussball herausgedonnert, und Scheiben sind in der Sierra teuer und werden allenfalls erst im Winter ersetzt.
Jiron La Mar 425, Treppenaufgang open air
                        im Freien vergrössernJiron La Mar 425, Treppenaufgang open air im Freien

Durch den Treppenaufgang open air kann man eine Falltüre sparen. Da es in Ayacucho auch sehr stark regnen kann, ist ein Treppenaufgang aussen am Haus die sicherste Methode, dass das Dach keine Schäden abbekommt. So kann man den Durchbruch durch das Dach sparen, und auch einen Aufbau auf dem Dach. Es ergibt sich auch eine Abstellnische unter der Treppe. Das Dach wird später der Boden für die erste Etage werden.
Jiron La Mar 425, Waschbecken und WC open
                        air im Freien auf dem Dach, das WC und die
                        Dusche haben nur einen Stoffvorhang, die Dusche
                        ist nur kalt vergrössernJiron La Mar 425, Waschbecken und WC open air im Freien auf dem Dach

Das WC (Toilette) und die Dusche haben nur einen Stoffvorhang, die Dusche hat nur kaltes Wasser, falls sie funktioniert. Haushalte, wo der Vater immer lange abwesend ist, haben besondere Reparaturprobleme, weil die Frauen keinerlei emanzipatorische Bestrebungen in Sachen Handwerk haben. Eine kaputte Dusche oder eine kaputte Toilette bleiben so lange kaputt, bis der Mann kommt. Hier z.B. fehlte ein kleiner Schlauch für den Wasserkasten der Toilette und ein Dichtungsring für die Dusche. Das WC musste mit einem Kübel bedient werden, die Dusche war ein Kübel und ein grosser Wasserkessel.

Personen, die während eines Regens aufs WC müssen, müssen durch den Regen eine Treppe hochlaufen. Die Hausbesitzerin hat das Bad in den ersten Stock gesetzt, um einen besseren Abfluss zu gewährleisten.

Es ist auch nicht immer Wasser da. Die grossen Wasserkessel müssen als Reserve für die Bedienung des WC immer gefüllt sein, sonst ist man auf einen Trockenzustand am Wasserhahn nicht vorbereitet. Ich war froh, hatte ich im Hostal wenigstens eine funktionierende Dusche, aber nur mit kaltem Wasser, weil das warme Wasser nicht funktionierte, oder weil das Zimmer nur mit kalter Dusche gemietet war...

Später, wenn irgendwann einmal das Geld zusammengespart ist, wird die erste Etage des Hauses gebaut werden. Solange müssen sich die Mieter mit einem Open-Air-WC und einer Open-Air-Waschgelegenheit auf dem Dach zufriedengeben. Das ist nicht das einzige Haus in Ayacucho, wo man sich auf dem Dach open air die Zähne putzt...
Hahn und Henne im Hinterhof, und ein
                        Fussballspiel vergrössernHahn und Henne im Hinterhof, und ein Fussballspiel

Ein Nachbar hat Hühner und einen Hahn, der am morgen ab vier Uhr die Nachbarschaft aus dem Schlaf holt. Die Landbevölkerung ist an den Hahn ab vier Uhr gewohnt. Viele Menschen in Ayacucho beginnen ab vier Uhr mit der Morgentoilette und beginnen um halb sechs Uhr mit ihrer Arbeit, für Europäer unvorstellbar.

Im Hintergrund spielen junge Männer im Hof ein Fussballspiel. Fussball ist eine der wichtigsten Abwechslungen im Leben der Menschen von Süd-"Amerika", denn alle Schneesportarten gibt es nicht, weil es kaum Schnee gibt, und alle Sportarten, die eine teure Ausrüstung erfordern, haben bei der Bevölkerung auch keine Chance...
Hinterhof mit Hahn, Henne und mit schwarzen
                        Schweinen, und ein Fussballspiel vergrössernHinterhof mit Hahn, Henne und mit schwarzen Schweinen, und ein Fussballspiel

Der Nachbar hat auch schwarze Schweine in einem Gartenteil, die seine Abfälle fressen und Fleisch hergeben. Diese Grosstierhaltung im Garten ist keine Ausnahme. In Cusco waren in einem Garten auch Schafe im Stall anzutreffen.
WC des Nachbarn ohne Vorhang mit
                        Wellblechdach vergrössernWC des Nachbarn ohne Vorhang mit Wellblechdach

Das Wellblechdach ist für Hinterhäuser in Peru absolut typisch.

Die Peruaner haben ein sehr natürliches, aber auch sorgloses Verhältnis zu ihrer Toilette. Eine Toilette im Freien im Hinterhof ist in Peru keine Ausnahme, sondern kommt im Wüstenklima von Lima sogar in Hostals und Herbergen vor. Urinieren wird allgemein "Nummer 1" (span. "número uno") und der Stuhlgang "Nummer 2" ("número dos") genannt. Die dazugehörigen Geräusche sind absolut gesellschaftsfähig, aber die Geräusche werden übertönt, wenn Leute sich unterhalten oder der Fernseher läuft...

Die Klopapiere mit den Resten von Nummer 2 werden eingefaltet, in einen kleinen Mülleimer gesteckt und als Brennstoff der Müllabfuhr mitgegeben, auch mit dem Argument, dass so das Leitungssystem sauber bleibt.

Wäsche waschen auf dem Dach, Pamela vergrössernWäsche waschen auf dem Dach, Pamela

Nur wenige Peruaner auf dem Land besitzen eine Waschmaschine. Oder dann besitzen sie eine Waschmaschine, sparen aber den Strom und waschen dann doch von Hand. Die draussen aufgehängte Wäsche trocknet bei der direkten Sonneneinstrahlung in Peru sehr schnell.

Die Frauen sagen, dass die von Hand gewaschene Wäsche weicher ist und länger hält als die Wäsche, die in der Waschmaschine gewaschen wird...
Wäsche waschen auf dem Dach, Pamela und
                        Shirley 01 vergrössernWäsche waschen auf dem Dach, Pamela und Shirley 01

Die Frauen verlieren viel Zeit mit Wäsche waschen, mindestens vier Stunden pro Woche. Da die Frauen von Kind an ab fünf Jahren an das eigene Wäschewaschen gewöhnt sind, entwickeln sie einen gewissen, kindlich anmutenden Stolz auf das Wäschewaschen von Hand. Es scheint auch eine Art Fitnessausgleich zu sein, der mit der Zeit so maschinell und selbstverständlich abläuft, dass manche Frau sich kein Leben ohne den Kult "Wäschewaschen von Hand" vorstellen kann.
Wäsche waschen auf dem Dach, Pamela und
                        Shirley 02 vergrössernWäsche waschen auf dem Dach, Pamela und Shirley 02

Praktisch ganz Ayacucho wäscht die Wäsche von Hand mit einer riesigen Verschwendung an Zeit, Seife und Wasser. Wäschereien habe ich in Ayacucho trotz zweiwöchigen Aufenthalts nicht gesehen. Nach der Rückkehr nach Lima wurde meine  Wäsche dann in einer Wäscherei gewaschen...

Shirley wollte sich nicht mit dem Gesicht fotografieren lassen. So fotogen soll das Wäschewaschen dann doch wieder nicht sein, auch wenn sie es gerne macht.



Insgesamt gesehen gibt es noch viel schlimmere Zustände als diese am Jiron La Mar Nr. 425, wenn man in die Aussenquartiere von Ayacucho geht. Da gibt es gar keine Dusche, gar kein WC, keinen Zementboden, da gibt es nur einen Wasserhahn vor dem Haus, den man mit anderen teilen muss, also überhaupt keine Dusche möglich, eventuell auch kein Strom, und nur selten Telefon etc.

Vielen Peruanern aber ist das Bier und das Glücksspiel wichtiger als Verbesserungen im Leben, denn IQ70 will nicht mehr als das.

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