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Encyclopaedia Judaica

Juden in Argentinien 04: 1890-1918

Weitere Einwanderung aus Osteuropa - jüdisch-landwirtschaftliche Kolonien - kaum Antisemitismus - jüdische Organisationen - Zionisten und Anti-Zionisten - Spendensammeln ab 1915 für die Juden in Osteuropa und in Palästina - der Jüdisch-Argentinische Kongress

aus: Argentina; In: Encyclopaedia Judaica 1971, Band 3

präsentiert von Michael Palomino (2007)


übersetzt von Michael Palomino (2011)

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[Einwanderung aus Osteuropa und aus dem Ottomanischen Reich (Türkisches Reich)]

[[Geschichte]]. <1890-1918. Die grossangelegte, jüdische Einwanderung nach Argentinien begann in den letzten Jahren der 1880er Jahre, als die Meldungen über Argentiniens Einwanderungserleichterungen Osteuropa erreichten. Zuerst kamen die Juden als Einzelpersonen, und dann in ganzen Gruppen. Die grössten dieser Gruppen (die auf dem Schiff S.S. Weser am 14. August 1889 ankamen) legten den Grundstein für die landwirtschaftlichen Siedlungen (siehe *Landwirtschaftliche Siedlungen). Die Einwanderung wuchs nach der Gründung der Jüdischen Kolonisierungsvereinigung (orig. *Jewish Colonization Association, ICA) und erreichte in den Jahren 1906 und 1912 ihren Höhepunkt mit über 13.000 Personen pro Jahr. Die meisten dieser Einwanderer waren Aschkenasi-Juden (Ashkenazim), aber eine kleine Minderheit von Sefardi-Juden (Sephardim) kam auch vom Ottomanischen Reich und aus Nordafrika.

Die öffentliche Haltung der argentinischen Behörden den jüdischen Einwanderern gegenüber basierte immer auf den entsprechenden Bestimmungen der nationalen Verfassung. Deswegen konnte das für Einwanderung zuständige Komitee die Opposition des Einwanderungsministers überstimmen und die Juden, die auf der Weser ankamen, einwandern lassen. Es wurde aber sogar dann noch argumentiert, dass Einwanderungsbeschränkungen erlassen werden sollten, um die kulturelle Homogenität Argentiniens zu gewährleisten, eine Ansicht, die vom Direktor des Einwanderungsamts unterstützt wurde.

Die Öffentliche Meinung und die Behörden erwarteten, dass die Einwanderer sich anpassen würden, und dieses Gefühl bewirkte im Jahre 1908 eine bundesweite Umfrage über die kulturelle Orientierung der Schulen in den jüdischen Kolonien in [[der Provinz]] "Entre Rios" [[deutsch: Zwischen den Flüssen]]. Im März 1910 wurden jüdische Schulen in Buenos Aires für eine kurze Zeit geschlossen, weil angenommen wurde, dass sie im Bestreben der kulturellen Integration nachlässig seien. Dennoch lebten die Juden in Argentinien in einer ethnisch und kulturell bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, was auch dadurch gezeigt werden kann, dass im Jahre 1914 von 7.885.000 Einwohnern im Land 2.358.000 Einwanderer waren.

[[Die Ureinwohner werden in der Encyclopaedia Judaica nie erwähnt].

[Jüdisch-landwirtschaftliche Kolonien - Juden werden als Russen oder Türken betrachtet - verschiedene jüdische Organisationen]

Eine Ausnahme in dieser Situation waren die landwirtschaftlichen Kolonien, wo die Juden eine fast exklusive jüdische Gesellschaft formten. Aber in allen anderen Situationen wurden eingewanderte Juden von ihren Nachbarn eher als "Russen" oder "Türken" bezeichnet und weniger als "Juden".

Trotz der klein gebliebenen jüdischen Gemeinden und der Armut und der teilweisen Rückwanderung nach Europa hatten die argentinischen Juden bis 1914 viele Organisationen gegründet, um ihre religiösen und materiellen Bedürfnisse zu erfüllen, und so fühlten sich die Juden in dem fremden Land auch weniger entfremdet. Die europäischen Juden (Aschkenasim) und die asiatisch-nordafrikanischen Juden (Sefardim) agierten dabei getrennt, jeder in seiner Weise mit dem Wissen, das sie aus ihren Regionen mitgebracht hatten. Die Sefardim waren zufrieden, kleine Gruppen einzurichten, organisiert auf der Basis ihrer geographischen Herkunft. Dabei sollten religiöse und erzieherische Bedürfnisse nur in beschränktem Masse befriedigt werden.

Also richteten Juden aus Marokko (1891), Damaskus (1913), Aleppo (1913) und ursprünglich Spanisch-sprechende Juden (1914) ihre entsprechenden Organisationen ein. Die west- und mitteleuropäischen Juden (Aschkenasim) andererseits gründeten ein ganzes Netzwerk mit religiösen, sozialen, erzieherischen, kulturellen und politischen Organisationen.

Die prominenteste religiöse und Wohltätigkeitsorganisation der Aschkenasim war die aschkenasische Begräbmisgesellschaft (Chevra Keduscha (Kol. 413)

siehe *Buenos Aires Kehilla [[Gemeinde Buenos Aires]]), gegründet im Jahre 1894, Bikkur Holim (1896), und Ezrah (1900) - die auf medizinischem Gebiet tätig war - Waisenkinder, Altenheime etc.

[Zionisten und Nicht-Zionisten in Argentinien]

Die dominierenden politischen Organisationen waren verschiedene zionistische Gruppen, die schon 1897 in den landwirtschaftlichen Kolonien und in der Hauptstadt gegründet wurden, die eventuell eine streng-zionistische Orientierung vermittelten, um die gesamte jüdische Bevölkerung Argentiniens zu einen.

Diese zionistischen Organisationen - darunter auch die *Po'alei Zion-Partei, gegründet 1909 - wurden von verschiedenen anderen jüdischen Gruppierungen bekämpft, also von Bundisten, Anarchisten und kommunistischen Gruppen. Die Mitglieder des Bund versuchten, sprachlich selbständige "jiddische" Sektionen innerhalb der grossen Gewerkschaften aufzubauen. Alle Organisationen hatten kulturelle Programme, die, mit Ausnahme der religiösen Zionisten, eine sekulär-nationalistische und kulturelle Orientierung gegenüber dem Judentum aufwiesen. Diese Aktivitäten beinhalteten, Bibliotheken einzurichten, zur Entwicklung einer eigenen Literatur zu ermuntern, und Experimente mit Theaterproduktionen.

[ab 1915: Spendensammlungen für die Juden in Osteuropa und Palästina]

Die Polarisierung der Klassen und der politischen Meinung, die weite soziale und kulturelle Kluft zwischen den Einwanderern von Osteuropa und Westeuropa, und personelle Ambitionen verhinderten in dieser Zeit in Argentinien die Einrichtung zentraler Organisationen. Aber im Jahre 1915, als Meldungen über die Juden aus den vom Krieg betroffenen Gebieten aus Russland und aus Palästina eintrafen, wurde doch ein Zentralkomitee für die jüdischen Kriegsopfer eingerichtet (orig. Englisch: Central Committee for the Jewish Victims of the War), als das Organ der argentinisch-jüdischen Gemeinden zum Spendensammeln.

[Zionistisch-Jüdischer Argentinischer Kongress ab 1916]

Im Februar 1916 wurde durch die Initiative der Zionisten der Kongress des Argentinischen Judentums (orig. Englisch: Congress of Argentinian Jewry) gegründet, und alle ausser die extrem linken Flügel nahmen daran Teil Der Kongress erklärte die wesentlichen Forderungen nach dem Krieg für Gleichberechtigung der jüdischen Nation, auch für die Juden der Diaspora, sowie eine jüdische Unabhängigkeit für den Staat Israel, und beschloss, die argentinische Regierung für diese Anliegen um Unterstützung zu bitten.

[[Das Programm für ein unabhängiges Israel stand im Zusammenhang mit der Idee von Herzl, dass alle Araber vertrieben werden könnte. Das erste Buch Mose, Kapitel 15, Satz 18, definiert die Grenzen eines "Gross-Israel" zwischen Nil und Euphrat. Dieses Herzl-Programm provozierte einen Antisemitismus im Christentum und in der gesamten arabischen Kultur]].

Als im Jahr 1917 die *Jüdische Legion gebildet wurde, meldeten sich mehrere Dutzend junge Juden freiwillig, und das Unternehmen wurde durch die Zionisten weit verbreitet.

Antisemitismus war in dieser Zeit selten. Als ein jüdischer Anarchist, Simon Radowitzky, versuchte, den Polizeichef Ramón Falcón (am 1. Mai 1909) zu töten, gab es keine Antisemitismuswelle gegen die jüdische Bevölkerung an sich. Morde an jüdischen Siedlern in den landwirtschaftlichen Kolonien schienen Vorfälle zwischen Gauchos und Siedlern anderen Ursprungs zu sein.> (Kol. 414)

[[Die Ausrottung der Ureinwohner und der Kulturen der Primärnationen in Argentinien wird in der Encyclopaedia Judaica nie erwähnt]].


[Bevölkerungszahlen]

Tabelle. Jüdische Bevölkerung in Argentinien, Volkszählung 1895
Provinz
Jüdische Bevölkerung
Anteil in Prozent
Bundeshauptstadt [[Buenos Aires]
753xxxxxxxxxxxx
12.3%xxxxxxxxxxxx
Provinz Buenos Aires
670xxxxxxxxxxxx 11.0%xxxxxxxxxxxx
Provinz Entre Ríos
3,880xxxxxxxxxxxx 64.0%xxxxxxxxxxxx
Provinz Santa Fé
721xxxxxxxxxxxx 11.7%xxxxxxxxxxxx
Andere Provinzen
61xxxxxxxxxxxx 1.0%xxxxxxxxxxxx
aus: Argentina; In: Encyclopaedia Judaica, Band. 3, Kolonne 419


<Die Volkszählung von 1895 deckte auf, dass 64% der 6085 argentinischen Juden in der Provinz "Entre Rios" wohnten, während nur 12,3% (753 Personen) in der Stadt Buenos Aires lebten. Seitdem gab es aber eine stetige Zuwanderung in die städtischen Zentren (Rosario, Córdoba, Santa Fé, etc.) und speziell in die Region der Bundeshauptstadt Buenos Aires.> (Kol. 419)


[Jüdische Wirtschaft und soziale Schichtung bis 1914: Bauern - Handwerker - Hausierer - Ladenbesitzer]

<Während der ersten Zeit der jüdischen Siedlungen in Argentinien bis 1914 war die jüdische Gesellschaft in vier hauptsächliche Bereiche unterteilt:

(1) Bauern - Siedler der Jüdischen Kolonisierungsgesellschaft (Jewish Colonization Association, ICA) und permanente Landarbeiter oder Saisonarbeiter

(2) Handwerker aller Richtungen - Selbständige, Angestellte, oder Lehrlinge

(3) Hausierer, die gemäss Abzahlungsplänen ihre Produkte verkauften (und deswegen "Cuenteniks" genannt wurden)

und (4) Ladenbesitzer, die die Güter des täglichen Bedarfs verkauften.

Ausserdem gab es Individualpersonen, die sich unter den ersten Industriellen befanden (in der Textilindustrie, Möbelindustrie, und in der Gerbstoffindustrie, wo aus dem quebracho-Baum [[Kastanie]] Gerbstoffe gewonnen wurden. Ausserdem waren weitere Individualpersonen unter den leitenden Direktoren, bei grossen Getreideexportfirmen. Im Jahre 1909 gab es 90 Juden in Buenos Aires, die den liberalen (Kol. 419)

Berufen angehörten. Die meisten von ihnen waren auf dem Gebiet der Medizin tätig, und von den 60 Studenten, die in der Universität waren, studierten 41 Medizin oder Pharmazie.> (Kol. 410)


[Jüdisch-landwirtschaftliche Siedlungen in Argentinien mit russischen Juden - das argentinische Parlament stoppt die Masseneinwanderung]

<Im November 1890 wurde Loewenthal von Baron de Hirsch nach Argentinien zum Führer einer Forschungsmission geschickt, und am 28. April 1891 ernannte ihn der Baron zum Direktor seines Siedlungsprojekts. Bald danach entschied Baron de Hirsch, dass sein Plan [[jedes Jahr sollten 5000 Juden einwandern]] der Eckstein eines durchdachten Territorialprojekts sein würde, das innerhalb einer relativ kurzen Zeit die Lösung der sich verschlechternden Situation der russischen Juden sein sollte. Daraufhin wurden im Juli 1891 die ersten Einwanderer nach Argentinien geschickt.

Zwischen privaten Individualpersonen und der argentinischen Regierungen kam es zu Verhandlungen um Konzessionen und den Erwerb von bis zu 9.266.250 Quadratfuss (3.750.000 Hektaren) Land in [[der Provinz]] Chaco [[wo zuvor wahrscheinlich Ureinwohner der Primärnationen vertrieben oder vernichtet werden sollten]]. Auch mit der russischen Regierung wurden Verhandlungen geführt, um die Auswanderung von Juden zuzulassen und um die Erlaubnis zu erhalten, Auswanderungsbüros einzurichten. Die russische Regierung stimmte dem Antrag am 20. Mai 1892 und nahm dabei an, dass in den nächsten 25 Jahren 3.250.000 Juden Russland verlassen würden.

Aber dieser grandiose Plan wurde dennoch nicht in die Tat umgesetzt. Das argentinische Parlament stimmte dem Verkauf der grossen Ländereien nicht zu, und Baron de Hirsch war überzeugt, dass das Klima und der Boden in der betreffenden Gegend für eine jüdische Kolonisation nicht geeignet wären.

[Das Leben der jüdischen Siedler - jüdische Grossbauern]

Die Siedlung der ersten Einwanderer war von ernsthaften administrativen und sozialen Schwierigkeiten begleitet, die Baron de Hirsch nicht bewältigen konnte, auch wenn Loewenthal von seinem Posten entfernt und durch Oberst Albert E.W. *Goldsmid ersetzt wurde. Baron de Hirsch hegte weiter die Hoffnung, dass er passende Orte finden würde, und erarbeitete ein neues, grosses und geographisch konzentriertes Projekt.

Im Jahre 1895 gab er aber dann doch zu, dass eine Pläne unrealistisch waren und versuchte, das Hauptziel seiner Aktivitäten zu ändern, indem nun nicht mehr die Auswanderung und landwirtschaftliche Siedlungen das Ziel sein sollten, sondern neu sollte die produktive Unterstützung der bedürftigen Juden in Europa und in den "amerikanischen" Kontinenten das Ziel sein. Am 21. April 1896 starb er mitten in der Arbeit, diesen abgeänderten Plan umzusetzen, der dann in vermindertem Umfang ausgeführt wurde.

Statt des Massenprojekts und der weiten und konzentrierten Gebiete besass die Jüdische Kolonisationsgesellschaft (ICA) zur Zeit von Barons Tod ein Total von nur 731.713 Quadratfuss Land (302.736 Hektaren), in den Provinzen Buenos Aires, Entre Rios und Santa Fé, mit insgesamt 910 Familien (6757 Personen). Die jüdische Kolonisation entwickelte sich vor allem in den 20 Jahren nach Barons Tod (siehe Diagramm). Das verfügbare Land vergrösserte sich auf 1.441.175 Quadratfuss (586.473 Hektaren) bis zum Ersten Weltkrieg, und von dann an bis zur Einstellung der Aktivität der ICA, wuchs das Land nur noch auf 1.525.764 Quadratfuss an (617.468 Hektaren).

[[Vertriebene oder ausgerottete Primärnationen und Ureinwohner sind in der Encyclopaedia Judaica nie erwähnt]].

Die Anzahl Personen, die auf dem Land siedelten, erreichte während dieser Zeit 18.900, und bis 1925 stieg die Zahl nur um 1428 Personen auf 20.382 Personen an [[weil ab 1918 Palästina das Hauptziel der rassistisch-zionistischen Auswanderung war]]. Auch während dieser Zeit wurde die Mehrzahl der Kooperativen in den Kolonien eingerichtet, und Alberto *Gerchunoff schrieb sein klassisches Werk, Los Gauchos Judíos [[Die jüdischen Grossbauern]].> (Kol. 428)


<GRÜNDE FÜR DIE AUFLÖSUNG

[Landwirtschaftliche Siedlungen: Schwierige Bedingungen in den landwirtschaftlichen Siedlungen - die Attraktivität der städtischen Bedingungen]

Die Auflösung des Bauernprojekts der ICA in Argentinien hat verschiedene Gründe. Ein Faktor war die ungünstige Position der grossen Ländereien der Kolonien an den Rändern der "Nassen Pampa" (Wet Pampa), die meistens unter dem Einfluss von Dürren aus dem Süden stand, und von Norden her kamen jeweils alle Jahre Heuschreckenplagen. Eine der Kolonien, Dora genannt, stand sogar in einer Trockenzone und ohne Bewässerung lief dort gar nichts.

Ein weiterer grundlegender Faktor war die extreme Abhängigkeit von ausländischen Märkten und die Unfähigkeit der argentinischen Bauern, die Marketing-Bedingungen zu beeinflussen. Auf der Suche nach höheren Einkommen wechselten die Siedler schliesslich von Getreide zu Viehzucht. Die jüdische Landwirtschaft, die auf Monokulturen basierte, war deswegen extrem sensibel, was die wechselnden Bedingungen auf den Märkten und die fehlende Stabilität angeht.

Ein dritter Faktor war die extensive Kultivierung in Argentinien, die grosse Ländereien benötigte und deswegen eine niedrige Bevölkerungsdichte zur Folge hatte. Dieser Typ Siedlung, wo die Bauern im Zentrum ihres Landes und gleichzeitig weit weg vom Nachbarn lebten, wurde von den jüdischen Siedlern von Anfang an abgelehnt, weil es der Erfüllung der religiösen, sozialen, erzieherischen und (Kol. 429)

medizinischen Bedürfnisse nicht entsprach. Versuche, konzentrierte Dörfer aufzubauen, scheiterten jedoch, und mussten verlassen werden.

Der vierte, entscheidende Faktor war die Anziehungskraft der Stadt, wo das Leben einfacher und sicherer war, wo man sich anstellen lassen konnte, wo es viele Gelegenheiten für einen raschen Aufstieg gab für jene, die Initiative hatten. Die Stadt bot auch ein soziales Zentrum mit gut entwickelten Einrichtungen für Erziehung, Religion und Kultur. Dann förderte die Perón-Regierung (1946-55) die Verstädterung und die jüdischen Siedler kamen, die einen städtischen Hintergrund hatten (einige ihrer Kinder hatten das Land ja schon verlassen und hatten sich in Städten angesiedelt, entweder um zu studieren, oder um im Handel tätig zu sein). Insgesamt wurde die Stadt nun speziell attraktiv. Überall schossen die Landpreise in die Höhe, und sie konnten ihr Land gut verkaufen und kamen in die Stadt mit einer grossen Stange Geld.

[Landwirtschaftliche Siedlungen: Manöver der jüdischen Kolonialistenorganisation ICA, die jüdischen Siedler auf den Farmen zu halten - ohne Erfolg]

Die ICA versuchte, der Entwicklung in einigen Punkten entgegenzuwirken. Eine lange Zeit lang versuchte sie, die Siedler vom Verlassen der Kolonien abzuhalten, indem sie die Abzahlung der Schulden hinauszögerte. Die ICA übte auf die Siedler Druck aus, ihre Landwirtschaftsprodukte zu diversifizieren, half ihnen, ihre milchproduzierenden Herden und Hühnerfarmen zu entwickeln, und experimentierte mit neuem Saatgut und modernen Kultivierungsmethoden. Sie stellte in den Kolonien ein integrales Schulsystem auf, das von Steuern der Siedler finanziert wurde.

Die ICA versuchte sogar, Siedler mit landwirtschaftlicher Praxis von Süd-Russland anzuwerben, und später auch noch Landwirtschaftsarbeiter ihrer eigenen Kolonien. Aber das Fehlen von Flexibilität in der Politik und in der administrativen Bürokratie, die immer den Gehorsam und die Unterwerfung der Siedler verlangte, verursachte die kontinuierliche Unterminierung der guten Beziehungen in den Kolonien, und der moralische Einfluss der ICA auf die Siedler ging immer mehr verloren. Die ICA weigerte sich bitterlich anzuerkennen, dass die Kolonie Narcisse Levin und ein Teil der [[Kolonien]] Barón Hirsch, Montefiore und Dora am Rand des fruchtbaren Gebietsraums grössere Landflächen benötigten, und diese Erkenntnisverweigerung mündete in einen bitteren und langen Streit.

Darüberhinaus hatte die ICA die Vorschrift, dass die Kinder der Farmer-Eltern ihre neuen Farmen nicht bei den Eltern-Farmen haben durften, und dies machte es für die junge Generation in den Kolonien sehr schwierig, und die ICA gab ihren Widerstand gegen eine Lockerung der Regelung nicht auf. Die ICA propagierte auch die intensive Bewirtschaftung der eigenen Beete, und die ICA verweigerte ebenfalls, noch brach liegendes Land an die Siedler zu verpachten. Alle diese Faktoren führten zu der Verstärkung einer zweiten, zentralen Kraft in den Kolonien, die Siedlerkooperative (siehe unten). Sie wurden installiert und mit der Hilfe der ICA geführt. Die Kooperativen bekämpften die Auflösung, wurden aber auch die Hauptwaffe der Siedler gegen die ICA. Der steile Zerfall der landwirtschaftlichen Siedlungen führte zu einer gemeinsamen Aktion der beiden Kräfte, den Status Quo beizubehalten.> (Kol. 430)

[Landwirtschaftliche Siedlungen: Landwirtschaftliche Kooperativen]

<LANDWIRTSCHAFTLICHE KOOPERATIVEN

Die erste landwirtschaftliche Kooperative in Argentinien wurde in der jüdischen Kolonie Lucienville in der Provinz Entre Rios [[Zwischen den Flüssen]] eingerichtet. Sie wurde am 12. August 1900 auf Initiative von Leon Nemirovsky gegründet, ein Agronom und Verwalter der ICA, und sie hiess "Primera Sociedad Agricola Israelita (Erste Israelitische Landwirtschaftsgesellschaft), und sie existiert noch heute unter dem Namen Sociedad Agricola Lucienville. Die Aktivitäten der Kooperative begannen mit dem Kauf von Saatgut und Einrichtungen für die Ernte, so dass deren Mitglieder von der Ausbeutung durch Händler befreit wurden. Danach wurden weitere Kooperativen gegründet, immer mit der moralischen und finanziellen Unterstützung der ICA. Fondo Comunal (Gemeindefond), in der Kolonie Clara und San Antonio (1904), Mutua Agrícola (Gegenseitiger Landwirtschaftsfond) in Moisésville (1908); Barón Hirsch in Rivera (1910); und Unión Cooperativa Agrícola (Landwirtschaftliche Unionskooperative) in Narcisse Levin (1910).

Im Verlaufe der Zeit entwickelten alle diese Kooperativen viele Programme, um die materiellen Interessen ihrer Mitglieder zu schützen, ihre kulturellen und sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, und um sie im Kampfe gegen die ICA zu vertreten (Kol. 431).

Im Jahre 1910 wurde in Buenos Aires ein Kongress der Kooperativenvertreter abgehalten. Der Kongress legte den Grundstein zur Conferderación Agrícola Israelita Argentina (Argentinisch-Israelitischen Landwirtschaftsvereinigung). [[...]]

Herausragende Führer der Bewegung der landwirtschaftlichen Kooperativen in Argentinien, zusammen mit Miguel Sajaroff - unzweifelhaft der Vorreiter und der Mentor - sind Adolfo Leibovich, Isaac Kaplan, Marcos Wortman, Miguel Kipen, Elias Efron und Francisco Loewy. Das offizielle Organ der Fraternidad Agraria (Landwirtschaftliche Brüderlichkeit), Colono Cooperador ("Kolonialistenzusammenarbeit"), erschien erstmals im Jahre 1917 und wird bis heute monatlich in Spanisch und in Jiddisch publiziert (siehe in Memoria y Balance im Band 1967).


[Unabhängige jüdische Landwirtschaftssiedlungen]

<UNABHÄNGIGE SIEDLUNGEN

Spannungen zwischen den Siedlern und der Verwaltung hatten oft zur Folge, dass grosse Gruppen das Land verliessen und unabhängige Siedlungen gründeten. Im Juni 1901 waren es etwa 40 Familien, die nach dem Verlassen der Kolonien in der Provinz Entre Rios in Villa Alba in der zentralen Pampa siedelten (heute heisst die Siedlung General San Martín). Im Jahre 1906 verliessen ungefähr 20 Familien Moisésville und gründeten die Siedlung Médanos im Süden der Provinz Buenos Aires. [[...]] Der Idealismus und die Initiative von Isaac Losow brachte ungefähr 40 Familien dazu, im Jahre 1906 in General Roca zu siedeln, im Herzen der unbewohnten Gebiete des Rio Negro. [[Aus dem Gebiet des Rio Negro waren 20 Jahre zuvor die Mapuche-Ureinwohner durch die argentinischen Militärs vertrieben worden]]. Im Jahre 1941 lebten immer noch 28 Familien in dieser Siedlung, obwohl sie sehr isoliert lag.> (Kol. 430)

<Die landwirtschaftlichen Siedlungen, die ausserhalb der Kontrolle der ICA waren, mit Billigung von Julio Levin, waren sogar noch mehr am Rand des Landes als die Kolonien der ICA. Diese Bedingungen wurden von zwei Seiten her diktiert, von den finanziellen Mitteln her, die den Siedlern zur Verfügung standen, und durch ihren strengen Idealismus.> (Kol. 431)

<Religiöses Leben.

Die Jahre von 1860 bis 1914 markieren eine Zeit von der beginnenden Einwanderung bis zur Einrichtung der landwirtschaftlichen Kolonien. Die Einwandererkolonialisten hatten ihre shohatim [[rituellen Schlachter]] und ihre Rabbiner. Der erste von ihnen war Rabbi Aaron Goldman von Moisésville. Das religiöse Leben in den Kolonien folgte zuerst den traditionellen Mustern, wie zum Beispiel in der Yeshivah [[jüdisch-religiöse Schule]] in Colonia Belez (1907-08). Aber generell führten die Isolation und das Fehlen der jüdischen Erziehung zusammen mit anderen Faktoren zu einem Niedergang des religiösen Lebens.

In Buenos Aires, wo die die Israelitische Vereinigung der Republik Argentinien schon existierte, wurden zusätzliche minyanim [[religiöse Gottesdienste]] organisiert. Po'alei Zedek richtete die erste talmud torah [[Tora-Schule]] ein; Mahazikei Emunha, der im Jahre 1892 die erste offizielle shohet [[rituelle Schlachtung]] durchführen liess und im Jahre 1893 das erste mikveh [[rituelles Bad]] bauen liess; und da war auch die Lateinische Vereinigung der Juden von Marokko (orig. Spanisch: Congregación Latina).

Bis 1897 wurden die jüdischen Toten auf dem protestantischen Friedhof begraben; später mussten die Gräber auf dem katholischen Friedhof gemietet werden. Erst im Jahre 1910 hatten die Juden die ökonomische und gesetzlichen Schwierigkeiten überwunden, um ihren eigenen Friedhof einzurichten. Obwohl die weissen Sklavenhändler einen Friedhof hatten, wollte niemand der hochstehenden Juden dort begraben werden.> (Kol. 421)

<Kulturelles Leben.

[Jiddische Bibliotheken - jiddisches Theater - jiddische Zeitungen]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das kulturelle Leben der jüdischen Gemeinde in Argentinien um die politischen Parteien konzentriert, so wie es auch in Osteuropa gewesen war. Deswegen gehörten auch die Gründer der beiden ersten jüdischen Bibliotheken in Buenos Aires 1905 - die Russische Bibliothek (orig.: Biblioteca Rusa) und die Herut - sozialistischen Organisationen im zaristischen Russland an. Ausser diesen beiden Bibliotheken wurden kulturelle Aktivitäten auch durch [[rassistische, anti-muslimische]] zionistische Organisationen wie Tiferet Sión unterstützt, die anarchistische Gruppe Arbayter Fraynd (Arbeiterfreund), und die Avangard.

Ein weiterer Aspekt des kulturellen Lebens war das jiddische Theater, das im Jahre 1901 seine erste Aufführung gab. Ab dieser Zeit - und speziell nach dem Ersten Weltkrieg - wurde das jiddische Theater einer der zentralen Orte im jüdisch-argentinischen Leben. Das Repertoire war mehrheitlich in Jiddisch, und die herausragendsten Schauspieler der jüdischen Dramaturgie erschienen auch auf dieser Bühne. Einzelne argentinische Schauspieler und Firmen besuchten auch Brasilien, Uruguay und andere latein-"amerikanische" Länder.

Im Jahre 1898 wurden die ersten drei jiddischen Tageszeitungen Argentiniens publiziert: Der Vider-Kol ("Das Echo"), herausgegeben von MIkhal Ha-Cohen Sinai; Der Yidisher Fonograf, herausgegeben von Fabian S. Halevi; und Di Yidishe Folkshtime, herausgegeben von Abraham Vermont. Die ersten zwei Publikationen waren so gestaltet, dass sie ein Forum für gebildete Juden bilden sollten, während Di Yidishe Folkshtime die Masse der jüdischen Einwanderer anzusprechen suchte und die andere beiden Publikationen um 16 Jahre überdauerte.

Während dieser Zeit erschienen auch viele weitere Tageszeitungen, die aber bald wieder eingingen. Im Jahre 1914 existierten in Argentinien nicht weniger als 40 jüdische Tageszeitungen. Ein fundamentaler Wandel fand aber statt, als erstmals Di Yidishe Tsaytung publiziert wurde. Das Blatt konnte die Anfangsschwierigkeiten überwinden und wird bis heute publiziert. Im Jahre 1918 kam eine zweite Tageszeitung hinzu, Di Prese.> (Kol. 423)

<Wochenzeitungen und Monatszeitschriften in Spanisch kamen erst ab 1911 auf. Juventud [["Jugend"]] war die erste, gefolgt von El Israelita Argentino im Jahre 1913 [["Der Israelit von Argentinien"]], publiziert vom Jüdisch-Argentinischen Institut für Kultur und Information (Instituto Judío Argentino de Cultura e Información). Im Jahre 1917 etablierte sich die spanische Monatszeitschrift Israel. Sie existiert heute noch und informiert viele Sefardim.> (Kol. 424)

[Zentrale, jüdische Bibliotheken]

<Im Jahre 1913 wurde der erste Versuch unternommen, die kulturellen Aktivitäten in Argentinien zu organisieren, und im Jahre 1915 hielten die Vertreter von 25 Bibliotheken und anderer kultureller Institutionen im Land eine erste Konferenz ab, die in La Plata stattfand, aber ohne wichtige Resultate. Der Erste Weltkrieg brachte dann in den Strukturen der jüdischen Gemeinde Argentiniens einige Änderungen, die danach durch weitere Einwanderung auch noch eine Erweiterung erfuhren. Es waren viele und facettenreiche Kulturorganisationen, wie der argentinische Zweig der *YIVO (1929), die eine zentrale Jüdische Bibliothek und Archive einrichtet (hauptsächlich mit der Geschichte der Gemeinde selbst). Ein spezieller Typ der kulturellen Aktivität war offensichtlich die Gründung der Landsmannschaften (Einwandererorganisation, die je nach Herkunftsland eingerichtet wurde), um den Neuankömmlingen bei der Anfangsintegration behilflich zu sein.

Das herausragende Merkmal des kulturellen Lebens war, dass das Leben der osteuropäischen Kultur im Mikrokosmos fortgesetzt wurde. Zahlreiche Organisationen vor allem mit jiddischer Sprache und Kultur wurden aufgestellt (zum Beispiel der Jüdische Schriftsteller- und Journalistenverband, der nach H.D. Nomberg benannt wurde, der Kultur Kongres, die A. Zygielbojm Gezelshaft far Kultur un Hilf, Ringelblum Kultur-Tsenter, und die Ratsionalistishe Gezelshaft, die bis heute existieren. Die kulturelle Aktivität wurde auch (Kol. 423)

durch Kreise unterstützt, die sich selbst mit dem Bolschewismus identifizierten. Auf der anderen Seite waren da die Aktivitäten des Hebräischen, die aber sehr limitiert waren. Der erste Versuch, Aktivitäten in Hebräisch abzuhalten, war im Jahre 1911, als die Organisation Doverei Sefat-Ever gegründet wurde.> (Kol. 424)

<Erziehung und Jugend.

Die erste Jüdische Schule in Buenos Aires war die talmud torah [[Tora-Schule]] im Jahre 1891, gegründet durch die Unión Po'alei Zedek. Sie hatte drei Lehrpersonen, die nur religiöse Themen auf Jiddisch unterrichteten. Ein Jahr später, während des Beginns der landwirtschaftlichen Siedlungen, stellten die Bauern eine hadarim [[jüdische Grundschule]] für ihre Söhne auf, und sogar, nachdem die ICA beschlossen hatte, ihr eigenes Schulsystem einzuführen, wurden erstere noch im Teilzeitbetrieb unterhalten. Die ICA-Schulen folgten den Vorschriften der Regierung, fügten aber die Fächer Hebräisch und jüdische Studien hinzu. Sie wuchsen und vervielfachten sich, als die Anzahl Siedler immer mehr anstieg. Im Jahre 1910 waren es 50 Schulen, 3538 Schüler und ein Lehrkörper von 155 Personen. Im Jahre 1914, als dem ICA immer weniger Mittel zur Verfügung standen, übergab die ICA die Schulen in den Siedlungen den lokalen und nationalen Erziehungsbehörden.

Die jüdische Erziehung wurde dem Va'ad ha-Hinnukh ha-Rashi (Erziehungs-Hautverwaltung) übergeben, gegründet im Jahre 1917 auf Initiative der ICA durch die Israelitische Gesellschaft der Republik Argentinien (Congregación Israelita de la república Argentina); diese Körperschaft gab auch die Religionskurse (cursos religiosos), die in den Städten im Jahre 1911 auf Initiative der ICA gegründet worden waren. Alle diese Schulen hatten Lehrgänge mit jüdischen Studien, die jüdisch-nationale Werte unterdrückten.> (Kol. 425)

[[Nun, das Judentum ist eine Religion und keine Nation, aber die rassistischen Zionisten wollen das ja bis heute (2011) nicht einsehen]].

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Quellen
Encyclopaedia Judaica: Argentina,
                          Band 3, Kolonne 409-410
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 409-410
Encyclopaedia Judaica:
                            Argentina, Band 3, Kolonne 413
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 413-414
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 419-420
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 419-420
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 421-422
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 421-422
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 423-424
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 423-424
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 425-426
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 425-426
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 427-428
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 427-428
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 429-430
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 429-430
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band
                            3, Kolonne 431-432
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 431-432





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